Auszüge aus einem Tagebuch
Vortrag Manfred Fay
Tagebuch
des Zimmermanns Johannes Peter Grün
aus Nenderoth (10.11.1786 – 19.7.1866)
(Transkription Manfred Fay)
Da ich, Peter Grün aus Nenderoth, nun 1786 den 10. November, geboren worden bin, so bin ich gegenwärtig im 75. Lebensjahr und habe mein Gesicht und Gehör noch, Gott sey dank, ganz gut und will noch von meiner Kindheit anfangen zu beschreiben, wie es gegangen hat bis hierher.
Ich bekam im 3. Jahr die Blattern oder die sogenannten Pocken. Von denen ich aber nichts mehr weiß, nur was sie mir davon erzählt haben. Mein Großvater von meiner Mutter her, habe die Nasen abgehoben und auf den Tisch gestellt. Ich soll ein sehr schönes Kind gewesen sein, ehe ich die Pocken bekam.
Nun wuchs ich heran, unter der Aufsicht meiner Eltern und Großelter, welche meiner Mutter Eltern waren, welches ihre jüngste Tochter war, überlebten. Wie ich 6 Jahre alt war, musste ich in die Schule.
Nun war gerade Herborner Martinmarkt gewesen, da brachte mir mein Vatter ein neu Abecebuch (= ABC-Buch) von dem Markt mit. Nun hieß es den folgenden Tag in die Schule, jetzt sollte ich den Abend das ABC lernen, welches mir nicht möglich war. Ich konnte den Buchstaben A nicht behalten, dann gab es Schläge. Mein Vater war ein sehr hitziger Mann und mein Großvater noch hitziger, dann hieß es gleich du Dummkopf, du lernst nichts. Ich dachte selber, das lernst du ewig nicht.
Den andern Morgen ging es in die Schule, meine Kammeraden hatten die Bücher früher bekommen, die konnten das ABC auswendig. Aber wenn auch die Buchstaben gezeigt wurden, so kannten sie dieselben nicht. Wie ich nun in die Schule kam und kannte den Buchstaben A nicht, so sagte der Schullehrer Kegel, wie sieht das aus Pätter (= Pate), denn seine Frau hatte mich aus der Taufe gehoben.
Ich war nun da, so, wie daheim. Ich wurde aber unten an gefragt, das ärgerte mich sehr. Er musste es aber tun, er fragte nun wie es wäre, dass ich gar nichts könnte, da sagte ich: Ich habe gestern Abend erst das ABC Buch erhalten, wie konnte ich nun auf einmal die Buchstaben kennen lernen?
Nun sagte er: wir wollen nun sehen wie es wird. Er tat sich nun Müh an bei mir, welches ich ihm nicht genug verdanken kann. Das dauerte bis zum 3. Tag, da kannte ich alle Buchstaben, aber die andern nicht. Da kam ich gleich herauf, obig (= über) die anderen, das war eine Freude, die hatte keine Grenze. Wie 14 Tage um waren, konnte ich alles lesen, was vorkam.
Meine Großmutter wusste auch noch von dem Dreißig Jährigen Krieg zu verzählen. Denn ihre Großmutter hatte den Dreißig Jährigen Krieg überlebt und hatte ihr verzählt, wie der Krieg begann, hätte sie eine zweimäßige Kanne aus Zinn voller Dukaten gehabt. Es muss vor dem 30-jährigen Krieg noch mehr Geld gewesen sein, wie jetzt. Denn habe ich in einer Geschichte gelesen, dass der ärmste Bürger vom Merenberg aus silbernen Geschirr gegessen habe.
Damals war nun in dieser Gegend noch alles katholisch. Die Schweden waren nun Lutherisch und hausten unbarmherzig mit den Menschen. Es war Krieg, woran die katholischen Pfaffen schuld waren. Desgleichen hausten die Kaiserlichen mit den Protestanten.
Wenn nun die Schweden kamen, war ein großer Vogel auf den Kirchhof geflogen kommen und hatte fürchterlich geschrien. Dann hat es noch vier Stunden gedauert, dann waren die Schweden gekommen. Danach konnten sie sich richten.
Da sind sie dann oberhalb von Nenderoth in die Hecken geflohen bis endlich die Schweden kamen und es war kein Lebensmittel mehr da, dann haben sie die Häuser angesteckt in Brand. Da haben mussten die armen Leute mit zu sehen, dann haben sie gesagt:
jetzt brennt mein Haus, der andere wieder: jetzt brennt mein Haus.
Nun hatten die armen Leute nichts zu essen, da haben sie hinter den Zäunen gelegen und Gras im Mund gehabt und sind tot gewesen.
Was nun der Hunger übrig gelassen davon ist der größte Teil an der Pest gstorben.
Meine Großmutter ihre Großeltern haben die Pest und Hunger überlebt, das machte ihr vieles Geld. Wie aber der Krieg vorüber war, war auch die zinnerne Kanne lehr.
Sie hatten ein klein braunes Gäulchen gehabt, da haben sie Weizen-Kleie im Hessenland geholt und Brot davon gebacken und so ihr Leben durch gebracht.
Von 14 Menschen ist im Durchschnitt nur einer geblieben.
Dann war der Siebenjährige Krieg bei dem alten Fritz, König von Preußen seiner Zeit. 1780 ging er los.
Nun kommen wir an den Französischen Krieg, 1792 gingen die Kayserlichen und Preußen nach Frankreich, wurden aber wieder heraus gejagt und haben lange in Nenderoth gelegen.
Besonders die Laturen.
Die Franzosen machten eine freie Republik und ließen Ludwig dem 16. den Kopf abhauen. Sie haben schwere Kriege geführt, in Italien und gegen den Kaiser von
Oestreich und größtenteils gesiegt. Im Jahr 1795 kamen sie zum ersten Mal zu uns.
Der König von Preußen hatte Frieden mit ihm gemacht und lies sie gegen ein Kopfgeld von einem Kronthaler pro Mann über den Rhein. Sie fuhren bei Düsseldorf in einer Nacht mit 1500 kupfernen Nachen über den Rhein und hieben die kaiserliche Besatzung auf dieser Seite zusammen und kamen bis auf den sogenannten Knoten bei Arborn und hatten da ein Lager.
Wir hatten einmal französische Soldaten von der siebten Compagnie eine Zeitlang, die kamen von Nenderoth nach Biskirchen zu liegen. Da ging der größte Teil vom weiblichen Geschlecht auf einen Sonntag nach Biskirchen zu ihnen auf Besuch. Sowohl Weiber wie Mägde und die Männer waren schlecht genug und ließen es geschehen.
Die Franzosen haben sie auch begleitet bis in den Biskircher Wald. Zur Schande muss ich das schreiben, denn es ist alles was ich schreibe Wahrheit und keine Lügen. Doch nicht alle Weiber gingen mit. Ich glaube aber, dass mancher ehrlicher Mann einen Franzosen hat groß ziehen müssen.
Im Jahr 1813 wurde ich bekannt mit Johannes Peter Pfeiffer seiner Tochter Katriena Elisabetha und ich heiratete sie und sie hat 12 Kinder gemacht, wo noch 8 leben und 4 gestorben sind. Eines, eine Tochter ist im Jahr 1849 nach Amerika gemacht und hat einen Mann welcher aus Leun ist und sich Jacob Burbach schreibt.
Im Jahr 1819 brannte Driedorf fast ganz ab, auch das Schulhaus und die Kirche. Es war auf einen Sonntagnachmittag. Das Feuer war durch eine Tabakspfeife angegangen. Ich kam gerade von Weilburg und als ich oberhalb Niedershausen kam, sah ich den Rauch wie eine dicke Wolke aufsteigen. Ich kam heim und sagte zu meiner Frau, es brennt in Driedorf oder in Madenmühlen, von denen eins. Ich zog meine Sonntagsmontur aus und die von Werktags an.
Ich hatte mich kaum angekleidet, da waren alle Orte schon da. Wir liefen nach Driedorf hinauf. Als wir ankamen, waren die Häuser in Driedorf größtenteils schon niedergebrannt.
Das Schulhaus brannte noch, die Kirche war noch unversehrt, dann fing sie Feuer von der Hitze oben in Turm. Es brannte am Anfang wie ein Licht, aber bald fraß es um sich, das Feuer. Es dauerte noch eine Zeit lang bis die Glocken hinab stürzten, mit einem so großen Geprassel.
Jetzt trat das Freiheitsjahr 1848 ein. Ich war für die Freiheit gesinnt, aber das Volk war zu dumm und war keine Freiheit gewohnt. Ich war bei jeder Volksversammlung und redete die Wahrheit in scharfen Ausdrücken. Es wurde ein Vor-Parlament nach Frankfurt am Main berufen von 50 Mann. Die suchten noch einen deutschen Kaiser aus, bei den anderen 39 die Deutschland aussaugen bis auf 2 Mann, Hecker und Strufe.
Jetzt kam ein großes Parlament zusammen aus allen deutschen Gauen. Sie wollten Heinrich von Gakern zum Präsidenten haben. Dieser adeliger Herr war kein Volksfreund. Er war ein Dummer, obwohl er schon gescheit sein wollte.
Er war Präsident und hatte es werden können über ganz Deutschland. Aber er bot dem König von Preußen die Kaiserkrone an, welcher sich dafür bedankte. Das Volk glaubte, es hätte seine Freunde gewählt, aber es waren mehr Feinde wie Freunde. Denn der Adel hat, seit er bestand, immer mit Verachtung auf das geringe Volk herabgesehen.
Doch man hat auch bei dem Adel rechtsame Männer gehabt. Auch bei dem geringen Volk hat man die Schlechtesten.
Ich liebe das Recht und die Wahrheit, denn wer mich belügt, der betrügt mich noch lieber.
Ein anderes redet das Herz, ein anderes redet der Mund und schöne Worte kommen doch nicht aus des Herzens Grund.
Es wurde nichts aus der Freiheit. Es ging wie im Jahr 1815, da hatten die Herren den Erbfeind aus dem Lande helfen jagen. Dann hatten sie dem deutschen Volk alles versprochen und nichts gehalten.
Wir hatten es bei den Franzosen besser wie jetzt und wenn es noch lange dauert, so werden die Bauern noch alle arm.
Im Jahr 1815 kam der Adel in Wien zusammen, er wollte entschädigt werden. Da trat der Fürst Metternich auf und sagte: Ihr könnt keine Entschädigung bekommen. Wer soll sie euch geben. Der Staat hat kein Geld, das Volk auch nicht. Wer soll euch entschädigen?
Aber mit der Zeit bekommen wir alles, sowieso. Er sagte: Jetzt gehen wir her und erhöhen die Steuern, dann bekommen wir das Geld und dann werfen wir die Arme auf die anderen, die noch etwas haben. Dann drücken wir von oben herab und die anderen von unten herauf und dann haben wir das Geld. Denn es müssen ganze Gemeinden verarmen.
Wenn es so wird und wenn es so weitergeht, dann wird es so.
Wir haben zwei adlige Herren hier im Herzogthum Nassau, die es so treiben.
(Erstveröffentlichung in: Manfred Fay, „Chronicon Mereberch oder Merenberg“, s. 237ff.).
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung Manfred Fay )